Madagaskars Krise trifft die Vanillebauern

Insel liefert 80 Prozent des weltweiten Bedarfs der Schoten

Stuttgarter Zeitung 11.06.2002

Die Schoten der Vanille gehören zu den teuersten Agrarprodukten der Welt, und sie sicherten 60 000 Bauern im Norden von Madagaskar ein gutes Einkommen. Doch seit einem halben Jahr steckt Madagaskar in einer politischen Krise. Die Vanillebauern fürchten um den Export.

Von Christoph Link, Antananarivo

Auch die guten Nachrichten nützen den Vanillebauern in Madagaskar zurzeit wenig. Coca-Cola hat in Kanada und den USA die Vanille-Cola auf den Markt gebracht und allenthalben wird mit einem Preisauftrieb für das tropische Gewürz gerechnet. Das ist die frohe Kunde. Selbst wenn der Getränkekonzern für sein neues Produkt synthetisch erzeugte Vanille benutzen sollte, wird eine erhöhte Nachfrage erwartet. Der Vanillemarkt ist klein und überschaubar. 80 Prozent der Produktion stammt aus Madagaskar, und das sind jährlich nur rund 1000 Tonnen, kleinere Mengen stammen von der Insel La Réunion, Tahiti und Mexiko.

Schon der Zyklon Hudah hatte vor zwei Jahren das Angebot verknappt und den Preis auf 100 Dollar pro Kilo schwarzer, trockener Vanille hochgedrückt. Das Madagaskar-Journal in Antananarivo geht derzeit von einem Preis von 200 Dollar pro Kilo aus, und Claude Andreas von der Erzeugergemeinschaft Sambava bestätigt den Marktpreis. Der Farmer Andreas ist derzeit nur mit dem Handy zu erreichen, ansonsten ist er in der Kleinstadt Sambava, 600 Kilometer nördlich der Hauptstadt, abgeschnitten von der Außenwelt. Weder auf dem Land- noch auf dem Luftweg sind Madagaskars Küstenprovinzen derzeit mit dem Hochland und der Hauptstadt verbunden - den Vanillebauern ist der Exportweg abgeschnitten.

In ihrer Region wurde kürzlich gekämpft. Der neue Präsident Marc Ravalomanana und der abgewählte Didier Ratsiraka streiten um die Macht und haben die 15 Millionen Einwohner zählende Insel praktisch geteilt. In diesen Tagen, so Claude Andreas, solle eigentlich mit der Ernte begonnen werden, doch wie sie ausgeführt werden soll, sei ungewiss. Früher hatten Zwischenhändler die in der Sonne getrocknete und fermentierte Vanille verpackt und mit Luftfracht über Antananarivo verschickt, vor allem in die USA, Europa und Japan. Manche der Kleinbauern leben abgeschieden im Wald, berichtet Andreas, zu Fuß marschieren sie bis zu 30 Kilometer mit ein paar Kilo Vanille in die prosperierenden Kleinstädte Antalaha oder Sambava. Die Anbauflächen reichen von einem Ar bis zu fünf Hektar, und bei guten Ernten können im Durchschnitt 4200 Euro Jahreseinkommen erzielt werden. Das klingt bescheiden, doch gemessen am Landesdurchschnitt - pro Kopf und Jahr liegt das Bruttosozialprodukt Madagaskars bei 280 Euro - ist es viel. "Unsere Vanillebauern leben gut", sagt Claude Andreas. Zumindest bisher war das so.

Aber seit Monaten nutzen Banditen oder Rebellen die anarchischen Zustände im Norden des Landes und stehlen massiv Vanille von den Plantagen. Der hohe Preis lockt die Kriminellen an. Fünf Bauern im protestantischen Kirchenbezirk Sambava seien bereits durch Gewalttaten ums Leben gekommen, sagt der Pfarrer Bemananjara Dodet, der vor politischer Verfolgung durch Ratsirakas Milizen in die Hauptstadt geflohen ist. Dem stellvertretenden Gemeindevorsteher in Sambava, so Dodet, seien 60 Kilo Vanille geklaut worden - ein komplettes Jahreseinkommen.

Die deutsche Vanillehändlerin Kerstin Güthler, die in der Nähe von Antalaha wohnt und Biovanille nach Deutschland exportiert, ist skeptisch für dieses Jahr. Wann die zunächst grünen Vanilleschoten geerntet werde, das sei immer eine Gratwanderung und werde von den Erzeugern heftig diskutiert. Aber jetzt hätten Bauern aus Angst vor Diebstahl schon zu früh unreife Vanille im Mai geerntet. "Ob wir überhaupt eine Ernte bekommen, ob wir per Seeweg oder Luftweg exportieren, all das steht derzeit in den Sternen." Und die Kontrolle ihrer 900 Vertragsbauern auf biologischen Anbau, so ergänzt Güthler, sei wegen der Wirren auch nicht möglich.