DIE ANALYSE: Die Natur spielt verrückt - Wetterextreme nehmen weiter deutlich zu

Frankfurter Rundschau 03.01.2003

Von Karl-Heinz Karisch

Stürme und Überschwemmungen, die Natur spielt verrückt - und die Wissenschaftler sind noch uneins. Nur die Versicherungsbranche sieht schon klarer. "Wir wissen aus unseren Analysen, dass sich der Schadenstrend weiter verstärken wird", sagt Stefan Heyd, Vorstandsmitglied der Münchener Rück, weltgrößter Versicherer dieser Sparte.

Die Ereignisse liefern sicher eine gute Begründung für steigende Preise bei "erstklassigem Versicherungsschutz", den sich die armen Länder meist ohnehin nicht leisten können. Für die Verheerungen, die der Zyklon Zoe in den letzten Tagen des Jahres 2002 auf den entlegenen Salomonen-Inseln Tikopia und Anuta anrichtete, wird wohl kaum eine Versicherung aufkommen. Sie waren der Abschluss eines katastrophalen Jahres, in dem Schäden von rund 55 Milliarden Euro (2001: 35 Milliarden) registriert wurden, so Heyd.

Ostafrika erlebte im Januar mit Dina den stärksten Zyklon seit 20 Jahren, der Schäden auf Mauritius und La Réunion anrichtete. In Korea zerstörte der Sturm Rusa im September 650 Boote und Schiffe sowie viele Fischfarmen. Einer der meteorologisch gewaltigsten Windwirbel der vergangenen Jahre war Higos, der sich Anfang Oktober im Nordwestpazifik aufbaute. Glücklicherweise schwächte er sich stark ab, ehe er Japans Festland erreichte.

Gegen Jahresende verdichteten sich zudem die Hinweise, dass ein neues "El Niño"-Ereignis im Pazifik bevorsteht. Dabei kehrt sich das Wetter zwischen der Westküste Südamerikas und dem südostasiatischen Raum (Indonesien, Australien) um. Die früher alle sieben Jahre eintretende Anomalie erfolgt seit Jahren in kürzeren Abständen. Ein weiterer Hinweis, dass das Klima instabil werden könnte. 2002 war zusammen mit 1998 das wärmste Jahr, seit es Klima-Aufzeichnungen gibt.

Die schlimmsten Taifun- und Hurrikan-Jahre könnten also noch kommen. Davon ist zumindest Stanley Goldenberg von der US-Anstalt für Meeres- und Atmosphärenforschung überzeugt. Nach sehr ruhigen Jahrzehnten zwischen 1970 und 1990 für die Karibik, Florida und die US-Südstaaten am Atlantik sei 1995 quasi "ein Schalter umgelegt" worden, sagt er. Seitdem gebe es pro Jahr doppelt so viele verheerende Hurrikane. Goldenberg hält es für möglich, dass "dieser höhere Level an Aktivitäten für die kommenden zehn Jahre erhalten bleibt, möglicherweise auch für 30 bis 40 Jahre". Ursache seien natürliche Schwankungen der Oberflächentemperatur des Meeres, verbunden mit der durch den Treibhauseffekt angestoßenen Klimaerwärmung.

Der Hurrikan "Mitch", der 1998 über Honduras und Nicaragua hinweggefegt war, ist für den Wissenschaftler ein Beispiel für das, was künftig vermehrt zu erwarten ist. Mitch sorgte für eine traurige Bilanz: fast 30 000 Tote und drei Millionen Obdachlose. Die massive Abholzung der Wälder für die Plantagenwirtschaft und Rinderzucht hatte die Wirkung des Sturmes noch verstärkt. Die Böden konnten das Regenwasser kaum speichern, sodass die Flüsse rasch anschwollen.

Auch in anderen wirbelsturmgefährdeten Gebieten der Erde haben sich die Bewohner an eine trügerische Sicherheit gewöhnt. Zahllose Siedlungen wurden mitten in Gefahrengebieten gebaut. Besonders gefährlich wird es für die Bewohner dann, wenn nicht feste Steinhäuser, sondern billige Fertighäuser aus "Holz und Pappe" errichtet werden. Auf den Salomonen, wo die Bevölkerung seit Jahrhunderten mit Zyklonen lebt, ist die Bebauung angepasst. Gegen eine gewaltige Flutwelle gibt es allerdings kaum Hilfe.

Noch ist unklar, ob Goldenbergs Analyse stimmt. Falls ja, dann hätte es nach Ansicht von Professor Lennart Bengtsson vom Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg gewaltige Auswirkungen auf die betroffenen Regionen. Der Klimaforscher warnt jedoch vor schnellen Schlüssen. Die Dynamik, die zu tropischen Wirbelstürmen führe, sei noch nicht gut verstanden, weil das Zusammenspiel der verschiedenen Klimafaktoren außerordentlich komplex sei.

Die Hamburger Forscher simulieren in ihren Rechnern die Auswirkungen eines sich erwärmenden Weltklimas. Dabei, so Bengtsson, heize sich auch die obere Atmosphäre stärker auf, sodass die Temperaturdifferenz zum warmen Ozean kompensiert werde. Dies wiederum schwäche die Wirbelstürme.

Nur langfristig rechnet auch Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung mit stärkeren Wetterextremen. "In den vergangenen 100 Jahren haben wir einen Temperaturanstieg von 0,6 bis 0,8 Grad Celsius gehabt", sagt der Wissenschaftler. "Wie sich dieser Trend weiterentwickeln wird, hängt vom künftigen Ausstoß der Treibhausgase ab."

Nach den wissenschaftlichen Prognosen werde sich die Erde zum Ende dieses Jahrhunderts zwischen 1,4 und 5,8 Grad Celsius zusätzlich erwärmt haben, sagt Rahmstorf, der die Rolle der Ozeane im Klimageschehen untersucht. Und selbst wenn heute noch nicht genau absehbar ist, wie die Entwicklung weitergeht: Die Wetterextreme werden zunehmen.